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Polizei warnt – «Road Rage» nimmt schleichend zu
Immer öfters platzt Verkehrsteilnehmenden der Kragen: Die Polizei stellt eine Zunahme bei aggressiven Fahrmanövern und verbalen Auseinandersetzungen fest. Als Grund sehen die Gesetzeshüter das anhaltend starke Verkehrswachstum.
Die Autorin erlebte kürzlich folgende Szene: Ein Traktor tuckert mit 40 über eine Überlandstrasse. Es ist 10 Uhr morgens an einem Mittwoch, der Berufsverkehr ist schon durch. Hinter dem Traktor bildet sich eine kleine Kolonne – überholen ist zu gefährlich auf der unübersichtlichen Strecke. Plötzlich betätigt der Autofahrer auf der fünften Position seine Hupe. Nicht nur einmal. Während mehreren Minuten schlägt er immer wieder aggressiv auf das Signalhorn, manchmal auch sekundenlang durchgehend. In einem gewagten Manöver überholt er irgendwann das Auto vor ihm, wild gestikulierend. Doch weiter kommt er damit nicht.
Seinen Frust entlädt er schliesslich beim Traktorfahrer. In einem Dorf hat der Lenker des landwirtschaftlichen Fahrzeugs endlich die Gelegenheit, rechts ranzufahren. Der aggressive Autofahrer hält neben ihm an, zeigt ihm schimpfend den Mittelfinger und braust dann davon.
«Road Rage hat schleichend zugenommen»
Wenn die Wut im Strassenverkehr eskaliert, hat das einen Namen: Road Rage. Und die von der Autorin beobachtete Szene ist kein Einzelfall – im Gegenteil. «Das Phänomen Road Rage hat in den letzten Jahren schleichend zugenommen. Vor allem verbale Auseinandersetzungen und aggressive Fahrmanöver kommen öfter vor als noch vor zehn Jahren», stellt Sharina Frey von der Kantonspolizei Solothurn auf Anfrage von STREETLIFE fest.
Leute werden ungeduldiger
Auch die Kantonspolizei Aargau trifft immer wieder auf Leute, die durch die Situation oder aufgrund ihres Zustandes (auch durch Alkohol- oder Drogeneinfluss) von leicht genervt bis aggressiv auftreten. «Bedingt durch das anhaltend starke Verkehrswachstum ist dennoch zu beobachten, wie die Nervosität und die Ungeduld im Strassenverkehr wächst», erklärt Mediensprecher Bernhard Graser. Hin und wieder gebe es auch Situationen, in denen Automobilisten wegen Bagatellen in Streit geraten – und dann im Extremfall auf offener Strasse aus dem Auto steigen, um aufeinander loszugehen.
Schlägereien und Pfefferspray auf der Strasse
So geschehen im Juni dieses Jahres. Anfang des Monats gingen mehrere Männer im Milchbucktunnel aufeinander los, wie ein Leserreporter-Video von «Blick» zeigte. Laut dem Leser und Urheber des Videos wurde die Auseinandersetzung durch Ausbrems- und Überholmanöver provoziert.
Ebenfalls im Juni gerieten in Winterthur ein Auto- und ein Töfffahrer aneinander. Nach gegenseitiger Schikane, Beschimpfungen und Drohungen zückte der Autofahrer sogar einen Pfefferspray und setzte diesen gegen seinen Kontrahenten ein, wie die Stadtpolizei Winterthur berichtete.
Handgreiflichkeiten sind selten
Handgreiflichkeiten seien zwar eher die Ausnahme, so die beiden Polizeikorps. «Einen eindeutigen Trend nach oben im Sinne eines Phänomens erkennen wir hier nicht», so Graser. Bei den Tätlichkeiten scheint die Hemmschweller also noch grösser zu sein als bei den Beleidigungen und den aggressiven Fahrmanövern. Bleibt zu hoffen, dass die physische Gewalt trotz zunehmenden Staustunden auch in Zukunft nicht steigt.
Road Rage – diese Strafen drohen
Beschimpfungen und Gesten
«Idiot», «Drecksack» oder der bekannte Mittelfinger. Beschimpfungen gelten in der Schweiz als strafbar. Rechtsgrundlage ist Art. 177 des Strafgesetzbuchs, der sowohl gesprochene Worte als auch ehrverletzende Gesten erfasst. Die Strafe richtet sich nach Tagessätzen, deren Höhe zwischen 10 und 3 000 Franken liegen kann. Bei einer einzelnen Tat sind bis zu 90 Tagessätze möglich, bei mehreren Beleidigungen im selben Zusammenhang bis zu 360.
Hupe und Lichthupe
Gemäss Art. 29 der Verkehrsregelverordnung dürfen Hupe und Lichthupe ausschliesslich verwendet werden, um auf eine konkrete Gefahr hinzuweisen oder ausserorts beim Überholen. Wer im Stau oder an der Ampel aus Ärger hupt, verstösst gegen das Gesetz und zahlt mindestens 40 Franken. Die Lichthupe als Druckmittel oder Ärgerausdruck kann eine Ordnungsbusse oder gar ein Strafverfahren nach sich ziehen.
Drängeln und dichtes Auffahren
Auch ohne Geschwindigkeitsüberschreitung kann aggressives Verhalten zu einer Verurteilung führen. Drängeln, riskantes Schneiden oder Ausbremsen können als Gefährdung des Strassenverkehrs gemäss Art. 90 Abs. 2 SVG gewertet werden. Das Bundesgericht bestätigte 2017 die Verurteilung eines Fahrers, der bei Tempo 120 den Abstand auf unter fünf Meter verkürzte. Die Strafe: 60 Tagessätze à 80 Franken und Führerausweisentzug.
Unnötiges Bremsen oder Blockieren der Überholspur
Wer absichtlich stark bremst, ohne dass eine Gefahrensituation besteht, oder auf der Autobahn grundlos die Überholspur blockiert, kann je nach Situation als einfache oder grobe Verkehrsregelverletzung nach Art. 90 SVG verfolgt werden. Die Rechtsprechung wertet dies oft als Gefährdung des Strassenverkehrs, was zu Geldstrafen, Führerausweisentzug und im Extremfall sogar Freiheitsstrafe führen kann.
Raserei
Seit der Einführung von Via Sicura gilt Raserei als Verbrechen. Wer innerorts 50 km/h oder mehr zu schnell fährt, ausserorts 60 km/h oder mehr oder auf der Autobahn 80 km/h oder mehr, fällt unter Art. 90 SVG. Die Strafe beginnt bei einem Jahr Freiheitsstrafe und kann bis zu vier Jahre betragen. Hinzu kommt ein Führerausweisentzug von mindestens zwei Jahren. In besonders schweren Fällen kann das Fahrzeug eingezogen werden.
Was sagt die STREETLIFE-Community zur Stimmung auf der Strasse? Das zeigt die Umfrage zum Thema Road Rage.
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