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Das Handy kann dich ins Gefängnis bringen
Gefühlt breitet sich auf den Schweizer Strassen eine neue Volkskrankheit aus: Das Handy am Steuer nutzen, während man gleichzeitig fährt. Aber stimmt das auch? STREETLIFE hat genauer hingeschaut und während 30 Minuten an zwei Kreuzungen die Fälle von Handy am Steuer gezählt!
Portemonnaie oder Ausweis bleiben gerne mal daheim. Aber ohne das Smartphone geht heute praktisch niemand mehr aus dem Haus. Es ist beinahe zu einem Teil unseres Körpers geworden. Ist nur selbstverständlich, dass es auch im Auto dabei ist und auch rege genutzt wird – selbst von der Person am Steuer. Wer etwas aufmerksam ist, kann bei anderen Fahrzeugen gewisse Anzeichen ausmachen: Schlangenlinien, grundlos langsamer werden oder am Lichtsignal nicht losfahren. Das sind nur drei Situationen, die hindeuten, dass die Person am Steuer ihrem Handy gerade mehr Aufmerksamkeit schenkt als dem Verkehr.
STREETLIFE macht den Test
Und das Handy am Steuer scheint gefühlt immer mehr verbreitet zu sein und zu einer Volkskrankheit zu werden. STREETLIFE wollte es genau wissen und hat in Neuhausen am Rheinfall an zwei Stellen, während 30 Minuten die Autos gezählt, bei denen die Fahrerin oder der Fahrer das Handy nutzte.
An der Zollstrasse hatten 25 Lenkende ihr Smartphone in der Hand, bei der Kreuzung Zollstrasse-Klettgauerstrasse waren es deren 22. Gemäss den kantonalen Verkehrszahlen passieren 14'000 Fahrzeuge pro Tag diese Strassenabschnitte. Auf eine halbe Stunde heruntergebrochen entspricht das 292 Fahrzeugen. Davon nutze in 25 oder 22 Autos die Personen am Steuer ihr Handy, was 8,6 beziehungsweise 7,6 Prozent alle durchfahrenden Autos entspricht. Die STREETLIFE-Zählung fand um 12 und 14 Uhr statt, ausserhalb der Hauptverkehrszeiten.
Unsere Beobachtungen zeigen, dass nur die wenigsten mit dem Handy am Ohr telefonieren. Die meisten haben ihre digitale Erweiterung so in der Hand, als würden sie eine Nachricht schreiben, etwas lesen oder durch die sozialen Medien scrollen. Einige Autofahrende halten das Smartphone auf Augenhöhe, um trotzdem die Strasse einigermassen im Blick zu haben. Was jedoch für Ausstehende, wie beispielsweise Polizisten, einfach zu sehen ist. Andere Autofahrende hingegen halten das Handy ans Lenkrad, was von aussen wirkt, als hätten sie beide Hände am Steuer.
Kein Geschlechter-, aber ein Altersunterschied
Von den beobachteten Handynutzenden waren etwa gleiche viele Frauen und Männer. Weiter waren vor allem jüngere, aber auch Menschen im mittleren Alter während der Fahrt am Handy. Ältere Menschen über 60 Jahren konzentrierten sich während unserer Beobachtung fast ausschliesslich auf den Verkehr. Ebenso verbreitet wie das Smartphone ist essen und trinken während der Fahrt. Etwa zwei- bis dreimal so oft sahen wir Personen am Steuer rauchen.
Alle diese Beobachtungen werden durch Zahlen der Beratungsstelle für Unfallverhütung BFU gestützt. Diese ermittelt seit 2020 Daten zur Ablenkung im Strassenverkehr. Das Resultat: 25 bis 30 Prozent aller Autofahrenden sind durch irgendeine Form abgelenkt. Über die letzten vier Jahre haben im Durchschnitt fünf Prozent der Personen am Steuer das Handy genutzt. Dabei zeigt das BFU-Sicherheitsdossier zum Thema Ablenkung eine beunruhigende Entwicklung: Je dichter der Verkehr, desto häufiger greifen die Autofahrenden nach dem Smartphone. Vor allem bei stockendem Kolonnenverkehr, wie gerade im Berufsverkehr oft vorkommt, lassen sich die Lenkerinnen und Lenker oft durchs Handy ablenken.
Diese Daten basieren auf Verkehrsbeobachtungen an 58 Standorten in der ganzen Schweiz, sowohl innerorts als auch ausserorts. Im letzten Jahr wurden dazu 16'800 Fahrzeuge beobachtet. BFU-Sprecherin Mara Zenhäusern gibt dabei zu bedenken: «In unsere Studie werden nur «beobachtbare» Ablenkungsquellen erhoben. Wenn zum Beispiel Autofahrende in Gedanken versunken sind, sieht man ihnen das nicht an.»
Unfallrisiko massiv höher
Was viele am Steuer unterschätzen: Das Handy ist ein massives Sicherheitsrisiko. «Wissenschaftliche Studien belegen, dass insbesondere das Schreiben von Nachrichten das Unfallrisiko um das Sechsfache steigern kann», erklärt Zenhäusern. Mit schwerwiegenden Folgen: Ablenkung ist mit einem Anteil von 30 Prozent der Hauptgrund für Unfälle. Dabei ist laut BFU das Telefon eine der wichtigsten Quellen für die Ablenkung.
Fussgänger und Velofahrer sind nicht besser
Nicht nur die Autofahrenden lassen sich im Strassenverkehr durch das Smartphone ablenken. Auch immer mehr Fussgängerinnen und Velofahrer widmen ihre Aufmerksamkeit dem kleinen Bildschirm statt dem Verkehrsgeschehen.
Mit Präventionskampagnen versuchen die Beratungsstelle für Unfallverhütung BFU und die kantonalen Polizeikorps die Verkehrsteilnehmerinnen und -Teilnehmer für die Problematik zu sensibilisieren. Gerade abgelenkte Velofahrenden gefährden nicht nur sich selbst, sondern auch andere Personen zu Fuss oder auf dem Fahrrad. Aktuell läuft im Kanton Zürich die Kampagne app-gelenkt. Die Luzerner Polizei plant im Herbst wieder eine Kampagne zum Thema.
Mit Zahlen lässt sich das aber nur schwer erhärten, weshalb der Einfluss vom Smartphone bei Unfällen unterschätzt werden, gibt Zenhäusern zu bedenken. «Weil man nicht immer genau nachweisen kann, ob die lenkende Person vor dem Unfall abgelenkt war und durch was.»
Zudem käme es auch oft zu Schutzbehauptungen, man habe aufs Navi geschaut oder den Radiosender gewechselt, weil niemand zugeben wolle, am Smartphone gewesen zu sein. Das Handy auszuwerten, um nachzuprüfen, welche App gerade genutzt wurde, ist nur auf richterliche Anordnung in schwerwiegenden Fällen möglich.
Von Busse bis Gefängnis
Die Polizei führt Schwerpunkt-Kontrolle zum Thema durch und die Patrouillen handeln auch, sollte ihnen eine Person begegnen, die am Steuer das Handy nutzt. Doch es gibt ein Problem, auf welches die Luzerner Polizei und die Kantonspolizei St. Gallen hinweisen: Sobald jemand ein offizielles Polizeiauto sieht, legt die Person ihr Smartphone aus der Hand.
Falls die Polizei Autofahrende aber doch auf frischer Tat erwischt, gibt es zwei Möglichkeiten. Das klassische Telefonieren mit dem Handy am Ohr und ohne Freisprecheinrichtung ist eine Ordnungswidrigkeit und wird mit einer Busse von 100 Franken geahndet. Wer hingegen eine Nachricht schreibt, durch die sozialen Medien surft oder das Smartphone anderweitig nutzt, wird verzeigt.
Dabei handelt es sich um einen Verstoss gegen Artikel 3 Absatz 1 der Verkehrsregelverordnung, nach welchem Autofahrende ihre Aufmerksamkeit dem Verkehr und der Strasse widmen sollen. Zudem dürfen sie keine Handlungen vornehmen, welche die Bedienung des Fahrzeugs erschwert. Das Bundesgericht hat das Schreiben einer Nachricht 2009 als grobe Verkehrsregelverletzung eingestuft, was mit einer Geldstrafe oder bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft wird.

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