Zum Hauptinhalt springen

Werbung

News •
Bewegung vor dem Ende?

Schweizer Klimakleber finden kaum Nachwuchs

Der zivile Ungehorsam ist ihre Waffe im selbsternannten Kampf gegen den Klimawandel. Von den Aktionen, bei denen neuralgische Verkehrsknotenpunkte blockiert werden, scheinen jedoch nicht viele überzeugt. Innerhalb des letzten Jahres ist die Bewegung von 14 auf gerade mal 120 Mitglieder gewachsen. Renovate Switzerland verstärkt nun die Rekrutierungsmassnahmen. STREETLIFE war bei einem solchen Anlass dabei.

Unübersehbar wirbt Renovate auf der eigenen Webseite für ihre Infoabende. Dass die Rubrik an erster Stelle steht – noch vor der eigentlichen Kampagne –, zeigt die Wichtigkeit dieser Veranstaltungen. Die Organisation sucht dringend Nachwuchs und will an diesen Infoabenden Gleichgesinnte für die Widerstandsbewegung begeistern.

Eine kleine Runde

Treffpunkt ist das Cabaret Voltaire im Niederdorf. Der Geburtsort der Anti-Kunst, des Dadaismus – es könnte kaum einen besseren Versammlungsort geben. Angesichts der lebhaften Geschichte des Kleintheaters ist die Stimmung an diesem Mittwochabend in der Dada-Bibliothek überraschend ruhig. Zwölf Stühle sind um einen langen Tisch platziert, um 19 Uhr sind sieben davon besetzt. Eine etwas magere Ausbeute, wie die Reaktion des Veranstalters zeigt. In der Hoffnung auf weitere Teilnehmende wird noch ein Moment abgewartet. Fünf Minuten später beginnt der Infoabend mit drei Renovate-Angehörigen und jeweils zwei Frauen und Männern.

Noch zehn Jahre, dann ist Schluss

Im ersten Teil, einem stündigen Referat, liegt der Fokus auf der Dringlichkeit der klimatischen Situation und dem Phänomen des Soft climate change denial. «Wir haben uns als Gesellschaft darauf geeinigt, den Klimawandel zu verleugnen», kritisiert der Renovate-Vertreter. Nachdem der Zusammenhang zwischen CO2-Ausstoss und Klimaerwärmung aufgezeigt ist, folgt ein Bashing unter anderem der gewinngetriebenen Unternehmen oder der untätigen Politik – wobei sich nicht nur die SVP, die «den menschengemachten Klimawandel leugnet», sondern auch die Grünen, weil es ihnen nur um mehr Wähleranteil gehe, etwas anhören müssen. Sogar die Wissenschaft, auf die sich Renovate immer wieder beruft, wird gerügt. Sie würde ihre Erkenntnisse nicht oder nur sehr abgeschwächt präsentieren. «Dabei sollten wir uns jetzt alle zu 100 Prozent engagieren. Dieses Jahrzehnt entscheidet! Jetzt müssen wir handeln!», weiss er und prophezeit, dass wir ansonsten noch zehn Jahre zu leben hätten. Aus diesem Grund habe die Organisation jetzt auch den Namen mit «Act now!» ergänzt.

Der zivile Ungehorsam als letzte Möglichkeit

Geht es darum, wie man denn genau handeln könne, ist die Antwort deutlich: «Performativer Aktivismus reicht nicht aus. Das bringt nicht viel.» Auch Massnahmen wie auf Fleisch zu verzichten, würden nichts bringen, da «Bottom-up zu langsam ist und die aktuelle Situation das nicht mehr zulässt.». Hier kommen die Strassenblockaden der Organisation zum Zug. Und von denen ist man bei Renovate überzeugt. «Mit den Strassenblockaden bzw. den gewaltfreien Aktionen soll eine Diskussion ausgelöst und aufgezeigt werden, dass wir uns in einem Klimanotstand befinden und nicht genug passiert», erklärt Cécile Bessire, Pressesprecherin von Renovate, zu einem späteren Zeitpunkt gegenüber STREETLIFE.

Es muss stören und wehtun!

Renovate Switzerland

Wieso Renovate die Strasse als Schauplatz gewählt hat, begründet Bessire wie folgt: «Die Geschichte zeigt, dass Menschen schon immer auf die Strasse gegangen sind, um gemeinsam für ihre Rechte zu kämpfen.» Weil wir gesellschaftliche Lösungen finden müssten, führe Renovate ihre Aktionen da durch, wo die Menschen seien: auf der Strasse. Dass dieser Ort bewusst gewählt ist, wird auch am Infoabend klargemacht. «Es muss stören und wehtun», ist man sich hier sicher.

Fünf-Punkte-Plan

Aber auch dieser auf der Strasse ausgetragene zivile Ungehorsam soll gelernt sein. Fünf Punkte zum erfolgreichen Widerstand sind bei Renovate in Stein bzw. Asphalt gemeisselt und werden den Teilnehmenden am Infoabend genaustens geschildert:

  1. eine klare Forderung stellen
  2. ausnahmslos radikal gewaltlos handeln
  3. Opferbereitschaft zeigen
  4. Feindseligkeiten aushalten
  5. Durchhaltewillen zeigen

Von diesen Anweisungen lassen sich die Klimaaktivisten nicht abbringen und von nichts und niemandem einschüchtern – auch nicht von allfälligen Strafen: «Gerichtsurteile beeinflussen unsere Aktionen überhaupt nicht», sagt Bessire und versichert: «Jede Person von Renovate Switzerland ist sich der möglichen Konsequenzen bewusst.» Es sei Teil des Engagements und werde sie nicht aufhalten. Sie würden das auch lieber nicht machen müssen und stattdessen legale Methoden anwenden. Aber sie hätten keine andere Wahl mehr.

Politischer Vorstoss gegen «Klimaterroristen»

Folglich zeigt sich Renovate auch nicht beeindruckt vom Vorstoss des SVP-Nationalrats Mike Egger. Mitte April hat der Rheintaler eine Motion zur «Prävention gegen Klimaextremismus» eingereicht. Seine Absicht: In Zukunft sollen mutwillig herbeigeführte Verkehrsblockaden mit einer bis zu dreijährigen Freiheits- oder einer Geldstrafe belegt werden können. «Anstatt sich die Frage zu stellen, wie man Klimaaktivisten schneller verhaften kann, sollte man sich fragen, wie man schneller Massnahmen ergreifen kann, um CO2-Emissionen zu senken», kommentiert Bessire die Motion. Würde die Politik besser handeln, bräuchte es die Strassenblockaden nicht.

Sonnenblumenöl gegen Klebstoff

Das härtere Vorgehen gegen Klimaaktivisten fordert Egger unmittelbar nach der Gotthardtunnel-Blockade vom Karfreitag. Inmitten des Geschehens am Nordportal, ein junger Mann, der sich zum zweiten Teil des Infoabends zur Runde gesellt. «Ich habe mich zum ersten Mal angeklebt», berichtet er und erzählt, wie die Polizei den Klebstoff gelöst hat: mit Sonnenblumenöl. Doch er gesteht auch: «Es ist schon schwierig gewesen, die Wut der Menschen auszuhalten.»

Aber in den Trainings von Renovate werde man für solche Situationen geschult. Zudem seien auch immer intern geschulte Peace-Keeper bei den Aktionen dabei, die einen im schlimmsten Fall schützen könnten. Aber nicht alle bei Renovate würden sich festkleben. «Wer das nicht will, muss nicht», denn es gäbe genügend andere ehrenamtliche Aufgaben.

Am Ende der Veranstaltung versuchen die Organisatoren, die Teilnehmenden für ihre Anliegen zu gewinnen. Die vorgängige Überzeugungsarbeit scheint nicht gefruchtet zu haben – das ausgeteilte Formular füllt nur eine Person aus. Der Zulauf bei der Bewegung hält sich in Grenzen. Tatsächlich hat Renovate Innerhalb eines Jahres die Mitgliederzahl von 14 auf lediglich 120 Personen erhöhen können. Und ist damit offenbar zufrieden: «Ich finde es beeindruckend, dass wir so schnell gewachsen sind», sagt Bessire. Ob das aber für das selbstgesteckte Ziel der «grössten zivilen Widerstandbewegung, die die Schweiz je gesehen hat» reicht? Tatsächlich sprechen die Renovate-Leute an der Infoveranstaltung selbst von einem möglichen Abflachen und ziehen den Vergleich mit der Fridays-for-future-Jugendbewegung, von der hierzulande nach der Coronakrise nicht mehr viel zu spüren ist. Droht Renovate bald dasselbe Schicksal?

Werbung