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«Schon geringe Preisveränderungen haben drastische Folgen»
Zölle, Zittern, Zulieferer: Die Schweizer Autobranche bereitet sich auf mögliche hohe Straftarife vor, doch eine endgültige Entscheidung steht noch aus. Sicher ist: Der US-Markt bleibt für die hiesige Branche systemrelevant – und das Risiko eines Handelskonflikts ist gross, bestätigt Chefökonom Mario Bonato von auto-schweiz.
Es ist ein Datum, das viele in der Schweizer Exportwirtschaft rot im Kalender markiert haben: der 9. Juli 2025. An diesem Tag läuft die 90-tägige Frist ab, die US-Präsident Donald Trump im Frühjahr nach seiner grossen Zollrede am sogenannten «Liberation Day» am 2. April eingeräumt hatte. Länder wie die Schweiz hatten seither Zeit, ein bilaterales Abkommen mit den USA auszuhandeln – andernfalls drohen massive Zollerhöhungen, insbesondere im sensiblen Bereich der Fahrzeug- und Maschinenexporte.
Gestern wollte Trump «Zollbriefe und Abkommen» an verschiedene Länder verschicken. Eine Ankündigung, die auf den Finanzmärkten für spürbare Nervosität sorgt. Auch wenn nicht klar ist, ob schon konkrete Massnahmen folgen oder Trump erneut eine Fristverlängerung einräumt – die Signale sind ernst zu nehmen.
Ob das Chaos zurückkehrt, ist tatsächlich unklar. Der Inhalt vieler Briefe wird vermutlich erst in der Nacht auf heute veröffentlicht. Bereits bekannt sind die Tarife für Japan und Südkorea; die Schweiz erwähnt der US-Präsident bislang (Stand: Montagnacht) noch nicht. In Bern wartet man also weiter gespannt auf Post aus dem Weissen Haus. Trump zufolge sollen die Einfuhrzölle ab dem 1. August gelten, wenn es vorher zu keiner Einigung kommt.
Die Schweizer Autobranche blickt denn auch mit Sorge auf die Entwicklung. Mario Bonato, Chefökonom des Branchenverbands auto-schweiz, warnt: «Der US-Markt ist für die Schweizer Automobil-Exportwirtschaft von grosser Bedeutung. 2024 gingen rund 15 Prozent aller Fahrzeug- und Fahrzeugteile in den amerikanischen Markt, das entspricht 0,8 Milliarden Franken.» Noch wichtiger sei jedoch die indirekte Bedeutung: «Über die Hälfte unserer Exporte gehen in die EU – und diese wiederum exportiert stark in die USA. Ein Handelskonflikt zwischen der EU und den USA betrifft somit auch die Schweiz unmittelbar.»
Komplettfahrzeuge exportiert die Schweiz keine. Doch zahlreiche spezialisierte Zulieferfirmen beliefern über die EU internationale Konzerne. Höhere Zölle – je nach Trump’scher Eskalationsstufe zwischen 25 und 70 Prozent – würden das Geschäftsmodell vieler kleiner und mittelgrosser Schweizer Firmen infrage stellen. «Der Automobilmarkt ist hochkompetitiv. Die Margen sind seit Jahren äusserst tief. Bereits geringe Preisveränderungen können drastische Folgen haben», so Bonato.
Druck auf Politik steigt
Die Branche hat bereits reagiert: Im März, kurz nach der Ankündigung der US-Zölle, stiegen die Schweizer Exporte laut Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit (BAZG) um 141 Prozent gegenüber dem Vormonat – bei Autoexporten sogar um fast 50 Prozent. Ein klassischer Vorzieheffekt. Doch Bonato relativiert: «Solche Entwicklungen sind nur kurzfristig wirksam. Die Volumina sind bereits wieder unter dem Februar-Niveau.» Bei einer tatsächlichen Umsetzung der amerikanischen Zolldrohungen sei mit einem deutlich sinkenden Gesamtvolumen zu rechnen.
Entsprechend gross ist der Druck auf die Politik. Der Bundesrat bemühte sich früh um Gespräche mit Washington – was von der Branche grundsätzlich positiv bewertet wird. «Der Bundesrat hat sich lobenswerterweise früh und vehement für Verhandlungen eingesetzt», sagt Bonato. Doch es gibt auch Kritik: «Wenig nachvollziehbar war die Kommunikation bezüglich Importerleichterungen für US-Autos. Eine Umgehung von Umwelt- und Sicherheitsstandards sehen wir als kritisch.»
Als mögliche Verhandlungsmasse sieht auto-schweiz die sogenannte Automobilsteuer: «Ein geeigneteres Entgegenkommen wäre die Abschaffung der 4-prozentigen Automobilsteuer, die am Zoll auf sämtliche Fahrzeuge erhoben wird. Dieser «vergessene» Zoll wurde als einziger bei der letztjährigen Abschaffung der Industriezölle aussenvorgelassen. Die Abschaffung der Automobilsteuer wäre nicht nur eine attraktive Verhandlungsmasse, sondern auch positiv für die Schweizer Gesamtwirtschaft.»
Berechenbarkeit erwünscht
Wie es nun weitergeht, wird sich weisen. Per Montagabend wurde erwartet, dass Trump neue Ankündigungen macht. Ob diese bereits konkrete Zölle betreffen oder lediglich Fristverlängerungen oder neue Bedingungen, wird sich in den kommenden Tagen zeigen. Doch auch eine weitere Eskalation ist nicht ausgeschlossen: In einem «Truth-Social»-Post hatte Trump Ländern, die sich BRICS-Staaten (u.a. Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika, Iran) annähern, mit pauschalen Strafzöllen von 10 Prozent gedroht – ohne Ausnahme.
In einem derart fragilen Umfeld wünscht sich die Branche vor allem eines: Berechenbarkeit. Mario Bonato bringt es auf den Punkt: «Der Bundesrat muss sich weiterhin mit Verve für eine Lösung im Handelskonflikt einsetzen. Ferner ist ein Freihandelsabkommen langfristig unerlässlich, um die Beziehungen auf eine gesicherte Basis zu stellen. Die Schweiz hat über 77 Freihandelsabkommen mit Partnern aus aller Welt. Ein nach wie vor attraktiver Markt eines westlichen Partners solcher Grösse sollte darin keinesfalls fehlen.»

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